Eines steht mal fest: Die politische Nachspielzeit der diesjährigen Fußballweltmeisterschaft dauert in Deutschland länger als die aktive Teilnahme unserer Nationalmannschaft, für die bekanntlich nach der Vorrunde Schluss gewesen ist. Aber es geht nicht etwa um den Neuaufbau nach einem ziemlichen Desaster, es geht einzig und allein um Mesut Özil und ein Foto. Ein Foto mit dem türkischen Präsidenten Erdogan, das auch schon wieder etliche Wochen alt ist und den DFB keineswegs abgehalten hat, Mesut Özil mit zur WM zu nehmen.

Nach der WM ist daraus eine Riesenwelle geworden, so als ob im Ernst die enttäuschenden Auftritte des deutschen Teams das Problem von einem Spieler alleine wären. Stimmt, Özil hat schlecht gespielt, aber alle anderen auch – das konnte nun jeder und jede sehen. Wenn aber trotzdem ausschließlich über den einen Spieler diskutiert wird, gibt´s dafür nur eine Erklärung: Es ist die Suche nach dem Sündenbock.

Fußball ist bekanntlich ja nur die schönste Nebensache der Welt, warum soll das alles dann mit Politik zu tun haben? Weil es um einen wunden Punkt in unserer Gesellschaft geht. In den letzten vier Jahren sind die Beziehungen zwischen Deutschland und der Türkei bekanntlich ziemlich kompliziert geworden. Betroffen davon sind aber eben nicht nur Diplomaten, sondern vor allem einige Millionen türkischstämmiger Menschen in Deutschland, von denen viele Anlass hatten und haben, sich zu fragen, ob sie denn zur Gesellschaft in Deutschland nun dazugehören oder nicht. Ich habe über dieses Problem in einer Kolumne vor einigen Monaten berichtet.

https://www.stephanweil.de/2017/03/06/schwierige-freundschaft/

Genau diese Frage werden sich jetzt wieder viele stellen. Mesut Özil ist in Deutschland geboren und aufgewachsen, er hat sich für den Deutschen und gegen den Türkischen Fußballverband entschieden, fast einhundert Länderspiele für Deutschland bestritten, ist mit dem deutschen Team U 21- Europameister und vor vier Jahren Fußballweltmeister geworden. Damals haben ihm alle zugejubelt und er galt – ebenso wie mancher andere Weltmeister – als Beispiel für gelungene Integration durch Sport.

Das Erdogan-Foto war sicher ein Fehler, denn dadurch hat sich Özil gewollt oder ungewollt im türkischen Wahlkampf instrumentalisieren lassen. Aber die nicht endenwollende Diskussion über dieses eine Foto steht dazu in keinem Verhältnis und beweist nur, wie viel Distanz und Entfremdung zwischen Deutschen und Türken in den letzten Jahren entstanden ist. Genau das spüren viele Deutsch-Türken eben auch in ihrem Alltag.

Es ist für mich unbegreiflich, dass die vielen bestbezahlten Akteure rings um die Nationalmannschaft nicht in der Lage gewesen sind, ein gutes Beispiel für Zusammenhalt nach einem Fehler zu demonstrieren. Von wegen „Wir gewinnen zusammen, wir verlieren zusammen!“. Das Gegenteil ist geschehen: Zurück bleibt ein Scherbenhaufen, der sich nicht auf den Fußball und die Nationalmannschaft beschränkt. Und so steht die politische Nachspielzeit der Fußball-WM dem miserablen sportlichen Verlauf in nichts nach.

Ich wünsche Euch eine gute Woche!